Es war ein morgen wie jeder andere, als ich das Haus verließ. Mein Nachbarn waren fast alle zur Arbeit gefahren. So standen nur noch zwei Autos auf den Einstellplätzen vor den beiden Mehrfamilienhäusern. Mein kleiner blauer Polo und ein silberner Passat.
Der Wind in der vergangenen Nacht hatte meine Tankklappe geöffnet. Im vorbeigehen drückte ich sie wieder zu. Der Sturm war sehr stark gewesen. Jetzt, am frühen Morgen, merkte man nicht einmal mehr ein kleines Lüftchen. Trotz der Windstille war es eisig kalt. Ich zog meinen Reißverschluss, meiner Jacke, bis zum Hals hinauf. Schließlich hatte ich erst in den letzten Tagen mit Halsschmerzen und Erkältungserscheinungen gekämpft. Ich wollte nicht das daraus eine richtige Grippe wird.
Alle redeten in den vergangenen Wochen nur noch von der Schweinegrippe, doch ich hielt das alles nur für Geldschneiderei der Pharmakonzerne. Natürlich spielten auch einige Ärzte dabei wieder einmal eine wichtige Rolle. So setzte ich, in Gedanken versunken, meinen Weg zur täglichen Arbeitstelle fort.
Bisher war auch noch nichts vom eigentlichen Winter zusehen. Einmal hatte es morgens gefroren und die Autofahrer durften ihre Scheiben enteisen. Laufende Motoren drangen in meine kleine zwei Zimmer Wohnung. Damit das Eis schneller schmolz, verpesteten sie nebenbei die Luft mit Abgasen. Vielleicht dachten sie ja nicht an die Umwelt. Einige war das bestimmt auch egal. Doch beim Stromsparen, machten alle mit. Hauptsache der neue Fernseher verbraucht im Betrieb nicht zuviel davon.
Ich mußte schmunzeln und schaute nach links in ein weihnachtlichgeschmücktes Fenster einer älteren Frau. Die schien von Energiekosten nicht viel zu wissen. An allen Ecken blinkte und leuchtete es. Aufgeklebte Engel blickte auf einen großen Lichterbogen. Dieser stand mittig hinter der Scheibe.
Andere Fenster, welche ich auf dem Weg zur Strassenbahn sah, schauten auch nicht viel anders aus. Vor einigen Hauseingängen standen, mit Lichterketten, versehene Nadelbäume. Sie leuchteten in einem warmen Schein. Auf einigen Ästen hatten die Anwohner eine Schneetarnung gesprüht. Um die Büsche herum standen vereinzelt Rentiere oder Weihnachtsmänner. Manche hielten noch viel vom Dezember und den darin befindlichen Festtagen.
Mir drehte sich immer der Magen um, wenn man auch nur das Wort "Weihnachten" aussprach. Nur der bloße Gedanke an Glückseligkeit und Familie reichte schon aus, um bei mir einen Brechreiz auszulösen. Ich will nicht sagen, das ich die Wintermonate oder nur den Dezember haßte. Es gab auch schöne Seiten an dieser Jahreszeit. Leider gab es ja auch schon lange keinen wirklichen Winter, mit Schnee, mehr. Vor einigen Jahren hatten wir sogar Sonnenschein an den drei berüchtigten Tagen. Dabei kam der starke Wintereinbruch mit Eisregen und spiegelglatten Strassen im März. Meterologenarbeit mußte in den Jahren immer schwerer geworden sein. Kaum ein Vorhersage traf ein. Viele der Wetteranalytiker schoben die Veränderungen auf das Klima. Doch die Forscher fand bis heute nicht heraus, ob es wirklich daran liegt, das dass Wetter machte was es wollte. Bisher hatte man es nur dem April Monat nachgesagt.
Mein Blick wanderte auf die am rechten Handgelenk klemmende Uhr. So langsam sollte ich mich spuhten. Schließlich wollte ich nicht an der Haltestelle herumstehen und 20 Minuten auf die nächste Strassenbahn warten. Dafür war es mir einfach zu kalt. So ließ ich die geschmückten Bäume rechts liegen und ging zügigen Schrittes weiter. Vor mir auf dem Fußweg türmten sich Betonplatten und Dachziegel. Das Haus soll schöner werden, war anscheinend zu Weihnachten für einige sehr wichtig und das nicht nur im Punkt Dekoration! Ich verließ den Fußweg und ging einfach auf der Strasse weiter. Ein Handwerker schaute mich auf dem Augenwinkel an.
Erschrocken sprang ich zur Seite, als eine Radfahrerin mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbeipreschte. Das um die Ecke kommende Fahrzeug konnte gerade so anhalten. Mit einem schrockenen Gesicht sprang die Frau von ihrem Rad und war am herum zetern. Ihr Arme fuchtelten wild in der Gegend herum. Ich dachte mir meinen Teil und schüttelte den Kopf. Fies grinsend umrundete ich den Ort des Geschehens. Auch hatte ich kein wirkliches Interesse den großen Augenzeugen zu spielen. Bei meinem schweren Unfall vor einigen Jahren hatte ich auch keine weiteren Zeugen. So wollte ich auch keiner werden.
Der Fahrer des Autos war indessen ausgestiegen und steigerte sich in ein lautes Wortgefecht. Mit speichelspuckender Stimme motzte er die Frau an. In einigen Häusern wurden die Fenster aufgemacht und die Handwerker hatten sich auch langsam dazugesellt. Ich hatte nur ein einziges Ziel! Die Straßenbahnhaltestelle.
Meine Schrittfolge erhöhte sich. Hinter mir ging der Streit weiter. Die Uhr zeigte mir noch acht Minuten an. Sie sollten auch ausreichen um es noch pünktlich zu schaffen. Vor mir sprang eine schwarze Katze vom Gartengeländer auf den Fußweg. Als sie mich sah, flüchtete sie auf die andere Strassenseite. Nach Fahrzeugen umschauend folgte ich der kleinen Mietze und ging zügig auf der anderen Seite weiter. Beim gehen schaute ich nach links und rechts. Auch in dieser Wohngegend hatten die Anwohner ihre Häuser und Vorgärten geschmückt. Irgendwie schon seltsam, das so etwas nur immer in diesem einen Monat der Fall ist. Naja, es ist ja auch der dunkelste auf der Welt. Es soll ja auch Ort geben, die über den Dezember keine Sonne sehen. Schwer vorstellbar!
An einem Haus, krabbelte schon der Weihnachtsmann hinauf. Vielleicht würde er es ja bis zu den eigentlichen Festtagen schaffen. In dieser Morgendämmerung, wo die Welt noch sehr gräulich aussah, war es schon ein sehr grotesker Anblick. Ein leichter Schauer überfuhr meinen Rücken. Nahe des kletternden Rauschebartes stand eine blinkende Kutsche mit zwei beleuchteten Rentieren. So konnte man Einbrechern auch den Weg ausleuchten.
Dann hatte ich eine Kreuzung erreicht. Gerade als ich in sie einbog, fuhr die Strassenbahn ein. Es war eine von den älteren Gefährten. Anscheinend musste die Verkehrsgesellschaft mal wieder sparen, weil die Instandsetzung der amerikanischen Strassenbahnen, welche man vor Jahren eingekauft hatte, sehr teuer sind. Vielleicht hätte man die Gleise ändern sollen damit sie besser und leiser fuhren. Die gleichen Bahnen fuhren auch in Berlin. Dort fielen wohl nicht soviele aus, wie hier in meiner Stadt.
An der Haltestelle tummelten sich schon einige Personen. Aus der Ferne erkannte ich eine Oma die mit zwei Plastiktüten in der Hand, über die Strasse hetzte. Sie dachte besimmt, das die Bahn losfahren würde! Doch sie fuhr nur in die Haltepositon, damit die Fahrgäste wußten, das sie jetzt einsteigen konnten. Ein Auto verfehlte sie nur knapp. Dann hatte sie den sicheren Bürgersteig erreicht. Mit einem flüchtigen Blick auf die Uhr stellte ich noch zwei Minuten Zeit fest. Dann sollte auch ich in der Bahn sitzen.
Mit Blick nach links und rechts, überquerte ich die Strasse. Auch dann erklommen meine Schuhe die Treppen im Einstiegsbereich der Bahn. Die Oma hatte ihre beiden Plastiktüten mitten im Gang abgestellt. So durften einige Fahrgäste erst einmal über sie hinweg klettern. Ich gesellte ich in den hinteren Teil der Bahn und hockte mich auf die Ablagefläche. Die Türen schlossen sich und ein rumpeln durchzog die Waggons. So langsam setzte sich die Strassenbahn in Bewegung. Ein riesen Wendekreis wurde von ihr durchfahren.
Es dauerte keine drei Minuten und sie stoppte an der ersten Haltestelle. Nicht viele Leute stiegen ein. So konnte der Fahrer, nach einem kurzen Halt, wieder weiterfahren.
In Rund 30 Minuten sollte ich meine Zielhaltestelle erreicht haben. Mein Blick wanderte vom vorderen Wagenteil nach hinten und dann nach draussen. Auch in den Hochhäusern, an denen wir vorbeikamen, leuchtete es aus den Fenstern. Überall hatten die Menschen dekoriert. Sie schienen sich auf Weihnachten zu freuen. Bei mir krampfte sich immer der Magen zusammen wenn ich an diesen Monat dachte.
Es mußte auch irgendwie mit meiner Arbeit zutun haben. Seit Jahren feierte ich dadurch kein Weihnachten mehr. Man bekam täglich mit, wie die Menschen immer bescheuerter wurden. Bis sie an den letzten Tagen nur noch hektisch in der Gegend herumrannten. Konsum war für viele das oberste Gebot. Hauptsache Ich. Wobei es von der Kirche gepredigt wurde, auch einmal an andere zudenken. So schien es mir aber nicht herüberzukommen. Auch verzeichnete das Gottesamt einen jährlichen Schäfchenrückgang. Wieso sollte ich dann genau das Gegenteil davon machen und mich auf die Festtage freuen. Bei mir kam ein leichte Übelkeit auf, als meine Gedanken während der Fahrt in diese Richtung verliefen. Ich hatte auch bestimmt wieder einen anstrengenden und chaotischen Tag vor mir. Einige meiner Kollegen hatten sich in den letzten Tagen krank gemeldet! So viel auch mal so eben die Pause flach. Hauptsache der Kunde wird zufriedengestellt und kann sein besinnliches Fest feiern. Wie es einem kleinen Verkäufer, ohne weitere Freizeittage und Ruhephasen, geht interessierte die Aussenwelt nicht. Manchmal war man abends so platt, das man schon auf dem Weg nach Hause in der Bahn einschlief. Mein Glück war, das ich immer an der Endstation aussteigen musste. Oft hatte ich aber auch Unglückliche gesehen die dann erst bei mir wach wurden.
Langsam bereitete ich meinen Kopf auf den bevorstehenden Tag vor.
Mein Blick fiel auf die Häuser mit ihren geschmückten Fenstern. An den Ampeln, an welchen wir vorbeifuhren, standen kleine Kinder mit Schulranzen auf dem Rücken. Sie freuten sich anscheinend auf die Schule. Ältere Leute sahen abgehetzt aus, als sie in den Waggon einstiegen. Wir leben schon in einer schnellen Zeit, durchzog es mein Gehirn. Irgendwie konnte ich diesen ganzen Kram nicht mehr ertragen.
Leichte Trauer und Hass kamen in mir auf.
Ich schaute hinaus auf die Strasse.
Es fing an zu regnen.
Donnerstag, 10. Dezember 2009
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1 Kommentar:
Das hast du wie immer sehr gut geschrieben. Besonders gefällt mir dabei, der tiefe Einblick in deine Seele.
Gruß Josi
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